Die neue Ausstellung in der Galerie Susanne Neuerburg „Damen und Herren“ zeigt eine Auswahl von Zeichnungen und Gemälden des 1951 in Nürnberg geborenen und in Köln lebenden Malers Horst Münch.
Horst Münch macht die „Conditio humana“ zum Thema seiner Kunst. Er ist ein überaus neugieriger Beobachter des chaotischen Treibens in der Welt. Er schaut auf die Vergeblichkeiten, die Ängste, die Freuden, das Scheitern und die Erfolge, die Komik und die Trauer des Menschen.
Darin ähnelt er dem Luftschiffer Gianozzo aus Jean Pauls „Des Luftschiffers Gianozzo Seebuch“1, der sich oben in der Luft, abgesondert von der Welt, in seinem Fesselballon das menschliche Leben zwar distanziert, aber dennoch teilnahmsvoll anschaut und der Erde unter ihm nicht einfach den Rücken zuwenden kann. Er schaut aus seinem Ballon herab auf das Treiben der Menschen und verurteilt es, halb spöttisch, halb fasziniert, als „Welttheater“.
Er prangert die Habgier, die Eitelkeit, die Spießbürgerlichkeit, die Überheblichkeit, das Machtstreben und die Kriegslust der Menschen an. Dennoch wird er magisch angezogen von dem, was unten passiert und vor sich geht, muss alles aus seinem Ballon aus beobachten, darüber nachdenken, sich darüber entrüsten und sich immer wieder – vierzehnmal insgesamt – zur Erde hinuntersinken lassen, „einzugreifen“ versuchen, weil ihm die Ereignisse unerträglich sind, nur um dann immer wieder, nach kurzer Zeit, in die freie Luft und den grenzenlosen Raum über der Erde zu entschwinden.
Der Luftschiffer Gianozzo war für einen anderen deutschen Maler, Max Beckmann, ein Seelenverwandter. Wie der Protagonist seines Lieblingsromans sah Beckmann– sicherlich hervorgerufen durch seine schauerlichen Erlebnisse im 1. Weltkrieg – die Welt in ihrer sinnlosen Tragik und den Menschen nur als ein Rädchen in einem undurchschaubaren Räderwerk. Seine Sicht auf den Menschen war sehr pessimistisch, aber durchaus von Mitgefühl, Verständnis und mit großer Freude an Komik geprägt. Diese zwiespältige Sicht, aber auch der Wille, das absurde Welttheater zum Thema seiner Kunst zu machen, vereint Max Beckmann und Horst Münch – wenn auch mit einer ganz andersartigen Bildsprache.
Max Beckmann setzte sich über die malerische Tradition hinweg, indem er zwar von der Realität ausging, aber diese mit den stilistischen Mitteln, die ein akademisch ausgebildeter Maler beherrschte, in seinem Sinne veränderte. Indem er bewusst unstimmige Perspektiven, verzerrte Proportionen, unsinnig erscheinende Details zur Verfremdung einsetzte, erschuf er sein eigenes Bild der Wirklichkeit. Beckmanns Bildsprache ist (epochenbedingt) ganz unterschiedlich zu der von Horst Münch, aber dennoch ist die Intention, die dahintersteckt, ähnlich:
„Bilder einer Harmonie, Bilder einer bestimmten Geschlossenheit, die ich aber mit gegensätzlichen Mitteln erreichen möchte. Die Lebenserfahrung ist doch die, dass alles ein unglaubliches Chaos ist. Ich möchte ein Bild malen, das an die Realität rangeht, die Realität aufnimmt, spiegelt, in einer gewissen Weise damit auch realistisch ist, das aber nicht mit dem Realismus als Abbildung, sondern vielleicht als Arbeitsmethode.“2
Arbeitsmittel zum Erreichen einer (sinnlichen) Harmonie sind bei Münch z. B. gestische Malerei, Color Field Painting, Spritztechnik, Karikaturen, Überlagerungen, sichtbare Korrekturen, Auslöschungen, Wörter gemalt oder gedruckt, das Fehlen von räumlicher Illusion und Perspektive, schwebende kreisende Figuren, kein Boden, keine Begrenzungen, giftige Farben und Fratzen usw.
„Seine Triebfeder ist – abgesehen von seiner unstillbaren Neugier – ein kunstimmanenten wie gesellschaftlichen Ideologien und Vereinnahmungen trotzender, nachgerade anarchischer Antiformalismusreflex.“3
Beckmann war zeitbedingt noch sehr formalistischen Maßstäben unterworfen, die Horst Münch offen mit seinen Bildern bekämpfen will: „Wie kann ich ein Bild für mich akzeptabel machen … wenn … ich die Komposition ablehne, den Raum ablehne, die Perspektive ablehne … ich lehne die Malerei ab … und versuche eine Malerei zu machen, die trotzdem funktioniert. Da ist natürlich auch eine Lust dabei, und ich habe mir die letzten Endes auch immer wieder versagt.”4
„Damen und Herren“: Der Titel der Ausstellung versinnbildlicht zum einen die distanziert-ironische Reflexion über das Rollenbild der Geschlechter in den ausgewählten Bildern. Wortspiele sind das Faible des auch literarisch arbeitenden Horst Münch. Zum anderen wird diese Floskel voraussichtlich bald aufgrund der genderpolitischen Diskussion in der heutigen Gesellschaft nicht mehr tragbar sein und spiegelt somit die den Künstler bedrängende gesellschaftspolitische Wahrnehmung.
Auch wenn sein wechselhaft konstruktives und destruktives Vorgehen bewusst das perfekte Scheitern mit einbeziehen muss, sagt Horst Münch: „Schön muss es sein!“ – und schön sind die Bilder allesamt.
Horst Münch begann 1966 zu fotografieren und drehte Super-8- und 16-mm-Filme. 1974 drehte er mit Freunden den Film Am Kopf belauscht, der 1976 bei den Internationalen Hofer Filmtagen gezeigt wurde. 1975 ging Münch an die Kunstakademie Düsseldorf zu Alfonso Hüppi. 1977 fand die erste Ausstellung mit Stoffskulpturen bei Felix Handschin Basel statt, 1979 eine Ausstellung bei Alfred Schmela in Düsseldorf. Nach dessen plötzlichem Tod ergab sich eine Zusammenarbeit mit Rolf Ricke in Köln und ab 1983 auch mit Hans Strelow in Düsseldorf, der das malerische Werk betreute. Ab 1986 zeigte Philippe Casini in Paris seine Arbeiten. Nachdem Anke Schmidt die Galerie Rolf Ricke im Jahr 2005 übernahm, zunächst mit Iris Maczollek, setzte sie die Kooperation fort.
1983 wurde Münch mit dem Förderpreis der Jürgen-Ponto-Stiftung ausgezeichnet, 2003 mit dem Käthe- Kollwitz-Preis der Akademie der Künste (Berlin). Seit 1982 lebt er in Köln. Seine zahlreichen Einzel- und Gruppenausstellungen seit 1977 wurden von diversen Publikationen begleitet.
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1 Jean Paul: Des Luftschiffer Gianozzo Seebuch. Komischer Anhang zum „Titan“ ,(1801)
2 Zitat Horst Münch, aus Gespräch mit Roman Kurzmeyer, Katalog Im Dunkeln sieht man nicht – Scenario, 1989
3 Annelie Pohlen: Horst Münch, Kunstforum 230, 2014
4 Zitat Horst Münch, aus Gespräch mit Harry Zellweger, Katalog Knoten, 1987
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